Film Yomeddine: Leid in den Kolonien der Aussätzigen

Abdel Karim Qadri- Algerien
 Film Yomeddine: Leid in den Kolonien der Aussätzigen

 

Als ich den ägyptischen Film Yomeddine (2018) von Regisseur Abu Bakr Shawky auf der zweiten Ausgabe des El Gouna Film Festivals (20.–28. September 2018) sah, verspürte ich nach dem Ende keine Lust mehr, an diesem Abend zu sprechen. Nicht, weil ich keine Worte finden konnte, sondern um dem Film die gebührende Ehrfurcht für sein Herzschmerz und seine Traurigkeit zu erweisen und in das Nachdenken einzutauchen. Yomeddine ist ein Beispiel für großes Kino, das die Sinne des Zuschauers packt, Spuren hinterlässt und mit intensiver Tiefe eine Botschaft vermittelt. Das Anliegen des Regisseurs ist es, das Schicksal der an Lepra Erkrankten ins Licht zu rücken — Menschen, die von ihren Familien, Nachbarn, Städten, ihrem Staat und schließlich von der ganzen Welt aufgegeben wurden. Diese Menschen gelten einfach als unschöner Anblick, der den anderen die Freude am Leben trübt und ihnen das schmerzhafte Bewusstsein über die Leiden dieser Welt ins Gedächtnis ruft. Der Film entfacht einen Sturm quälender Gefühle: Mal empfinden wir Mitleid mit diesen Ausgestoßenen, mal Mitleid mit uns selbst, weil wir zugelassen haben, dass solche Dinge unter unseren Augen geschehen, ohne dass wir etwas tun. Dieses ambivalente Gefühl begleitet die 97 Minuten des Films und erinnert uns daran, dass das ägyptische Kino lebendig und vielfältig bleibt – und dass es Filmemacher gibt, die sich mit dieser Tiefe und Vielfalt anspruchsvollen Themen widmen.


Abo Baker Shawki

Geschichten, die auf dem Weg entstehen und wachsen

Die Geschichte des Films Yomeddine dreht sich um Bashay (gespielt von Rady Gamal), einen Bewohner einer Leprakolonie, der zwar von der Krankheit geheilt, aber von ihren Narben gezeichnet ist. Er lebt mit anderen ehemaligen Kranken in einer Kolonie, weit entfernt von den städtischen Gebieten. Bashay hat sich hier ein Leben aufgebaut, indem er Müll sammelt und sortiert, um ihn als Rohmaterial zu verkaufen. Nach dem Tod seiner Frau besucht ihn ihre Tochter, die ihm offenbart, dass sie ihn nie zuvor getroffen hat und um Vergebung bittet. Angestachelt von diesem Geständnis, beschließt Bashay die Kolonie zu verlassen und sich auf eine Reise in die Provinz Qena zu begeben, wo seine Familie lebt, die ihn einst verstoßen hat. Auf dieser Reise begleitet ihn der nubische Waisenjunge „Obama“ (gespielt von Ahmed Abdel Hafiz), beide fahren auf einem Karren, gezogen von einem Esel namens Harby.

Die Kinogeschichte hat viele Werke hervorgebracht, die auf Straßen spielen, wie Ridley Scotts Thelma & Louise (1991), das den Oscar für das beste Originaldrehbuch gewann, oder La Strada (1954) des italienischen Meisters Federico Fellini, der den Oscar als bester fremdsprachiger Film gewann. Yomeddine reiht sich in diese Tradition ein, indem es den Weg als Mittel der Erzählung und des Ausdrucks nutzt. Für Abu Bakr Shawky, der hier sein erstes Spielfilmdebüt feiert, bietet die Geschichte klassische Elemente: Einleitung, in der die Charaktere vorgestellt werden, ein Haupteil, in dem deutlich wird, wie die Gesellschaft Menschen mit dieser Krankheit wahrnimmt, und eine tiefe Erforschung von Bashays Selbstbild, seiner Sicht auf das begleitende Kind und die Gesellschaft als Ganzes. Das Finale ist eine Zusammenfassung, die mit humanistischen Werten durchsetzt ist und das menschliche Wesen in all seiner Güte und Grausamkeit offenbart und dieser marginalisierten Gemeinschaft einen Hauch Hoffnung bietet.


Ein Auge lacht, das andere weint

Der Regisseur Abu Bakr Shawky nutzte die Situation der Lepra-Kranken, die von der Gesellschaft abgeschottet in Kolonien leben, um Empathie zu wecken und alle, die solche Menschen ausgrenzen, anzuprangern – sei es Familie, Staat oder Gesellschaft. Doch Shawky wollte das Publikum nicht in eine düstere Atmosphäre aus Kummer und Trauer stürzen, sondern fügte komische Momente hinzu, insbesondere durch Bashays Begegnungen mit anderen Menschen, wie dem Extremisten im Gefängnis. Diese komischen Episoden durchbrechen die dramatische Linie und schaffen eine Leichtigkeit, die den Film zugänglicher und bekömmlicher macht. Bashays lange Reise wird eine Gelegenheit zum Träumen und zur Flucht aus der Realität. Doch als er das Dorf erreicht, das ihn einst verstoßen hat, wird er wieder von der Realität eingeholt. Er hat Angst vor der bevorstehenden Begegnung mit seinem Vater und zweifelt, ob er die Kraft aufbringen wird, um die Antworten zu ertragen, die ihn erwarten könnten.

In einer überraschenden Wendung bringt Shawky – der auch das Drehbuch verfasst hat – Bashay, einen Christen, dazu, Zuflucht in einer Moschee zu suchen. Diese religiöse Symbolik ist ein subtiler Hinweis auf das Yomeddine (Tag des Jüngsten Gerichts), an dem die Menschen durch ihr Herz und nicht durch ihr Aussehen oder ihre äußere Hülle beurteilt werden. Bashays Vater erklärt ihm schließlich, dass er ihn in die Kolonie schickte, damit er unter Gleichgesinnten aufwächst, unter Menschen mit derselben Krankheit, um so Spott zu vermeiden. Shawky lässt damit Raum für Verständnis und gibt Bashay die Freiheit, zurück in die Kolonie zu gehen, einen vertrauten Ort, der ihm trotz aller Entfernung noch nahe ist.

Ein „Fehler“ in der Darstellung, der den Film stärkt

Die Darstellungen der meisten Charaktere sind insgesamt überzeugend, doch einige Szenen des Hauptdarstellers Rady Gamal wirken manchmal weniger glaubwürdig, insbesondere in seiner Sprechweise und bei der Interpretation bestimmter Szenen. Gamal, der selbst in einer Leprakolonie lebt und zuvor noch nie in einem Film aufgetreten ist, verleiht dem Film jedoch eine seltene Authentizität. Diese vermeintliche Schwäche in seinem Schauspiel verleiht dem Werk eine dokumentarische Dimension, die den Film zu einer Art „verstecktem Dokumentarfilm“ im Gewand eines Spielfilms macht.

Yomeddine ist das Werk eines mutigen Regisseurs, der sich traut, ein schwieriges und komplexes Thema anzupacken. Shawky ist mit dieser Thematik vertraut, da er vor über zehn Jahren bereits einen Kurzfilm über die gleiche Kolonie in Abou Zaabal drehte. Nach einem Studium in New York kehrte er nach Ägypten zurück, um diesen Spielfilm zu realisieren, der als Fortsetzung seines ersten Dokumentarfilms gilt. Yomeddine wurde in zahlreichen internationalen Festivals gezeigt, darunter im Wettbewerb der 71. Ausgabe der Filmfestspiele von Cannes und der zweiten Ausgabe des El Gouna Film Festivals, wo es mit dem El Gouna Star als bester arabischer Spielfilm ausgezeichnet wurde. Es gewann auch den Preis „Cinema for Humanity“, gemeinsam mit dem polnischen Film Another Day of Life von Raúl de la Fuente und Damian Nenow, und wurde von Ägypten für den Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ eingereicht.